BLOODY
07:39 Uhr. Ich werde geweckt. Ein paar Sekunden und ich weiß, dass es nicht der Wecker ist, sondern ein Anruf. "Wann könnten Sie denn hier sein?" Mit der Beantwortung setze ich mich bereits unter Zeitdruck. Somit entfällt ein in meiner allgemeinen Lebensplanung selten erlebtes Frühstück zugunsten eines schnellen Crossaints vom Bäcker, wohl wissend dass mein Zielort einen Kaffee für mich bereithält. Ein Fragebogen, eine Einverständnisserklärung, dann darf ich endlich eine bequeme Liegeposition einnehmen. Linker Arm, es piekst etwas. 2 Minuten zittern, bangen. Grünes Licht. Rechter Arm, es piekst nicht mehr, es ist Schmerz, als eine Kanüle mit einem Lumen von 1,6 mm meine Haut gewaltsam penetriert. Die junge Frau, die da gerade ihre sadistische Ader an mir auslässt, würde sicher auch gut eine gruselige Satanistin abgeben. Ich kenne sie schon länger, sie triff immer. Seit 12 Jahren komme ich nun in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen hierher, noch nie hat eines der doch recht unpassend in weiß gekleideten Vampirmädels daneben gestochen. Der Schlauch füllt sich schnell dunkelrot. Er läuft über meinen Bauch, hin zu der Maschine, die in den kommenden 95 Minuten 3777 ml meines gesamten Bluthaushaltes zentrifugieren, filtrieren und reinfundieren wird. Wenn ich zu lange hinsehe wird mir schlecht, aber das wird es sowieso. Nach wenigen Minuten fängt das Kribbeln im Gesicht an, beginnend bei den Lippen, leichte Kälteschauer huschen über meine Wangen. Und es wird mehr. Der erste Zyklus ist überstanden. 7 sollen es sein. Es wird kalt. Alles was zurück läuft in meine Vene hat maximal Zimmertemperatur, und auch wenn die zur Zeit höher ist als sonst vielleicht, schaffe ich es kaum, das Temperaturdefizit aufzuholen. Die Kälte ist nicht zu bekämpfen, sie kommt von innen. Sie fließt mit dem Blut in meinen Körper. Es fühlt sich an, als hätte ich einen Zentimeter unter der Haut eine Schicht Eiswürfel versteckt, oder Fishermans Friend i.v. injiziert. Das Prickeln im Gesicht lässt einfach nicht nach. Das flaue Gefühl mich Magen kann ich nur durch Ablenkung bekämpfen, lange gelingt mir das jedoch nicht. Nach dem 4. Zyklus kann ich mich weder auf Yellowpress noch auf mein Buch konzentrieren. Ich schließe die Augen, versuche zu entspannen, doch falls mir das wirklich gelingen sollte, meldet sich sofort die unbarmherzige Maschine an meiner linken Seite, und befiehlt mir für einen ausreichenden Blutfluss zu sorgen. Ein komisches Gefühl, der Körper schwammig, wie Aquaplaning, der Kopf gedankenleer, kein Horizont, nur weg, endlich weg, endlich das Ende dieser Folter. Die sadistische Arzthelferin lächelt mich an und fragt scheinheilig, ob alles in Ordnung sei. Sie weiß genau, dass ich ihr ausgeliefert bin, wir haben kein geheimes Zeichen ausgemacht, mit dem ich die Folter beenden könnte. Und doch weiß ich, dass ich wieder kommen werde, ich bin und bleibe Masochist.
Unendlich scheint mir die Zeit, aber sie geht vorbei. Ein Druckverband soll eine Nachblutung verhindern. "Mindestens 2 Stunden." Ja klar, weiß ich doch. Ich werde ihn entfernen noch bevor ich ins Auto steige, er behindert mich. Ich fühle mich immer noch flau, irgendwie schlapp, das wird den ganzen Tag anhalten, und frei… ich fühle mich leicht und frei. 650 gr meines Körpers habe ich diesem Verein überlassen. In wenigen Tagen werde ich den Verlust ausgeglichen haben. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob die Ausnutzung meiner natürlichen Ressourcen irgendwelche Spätfolgen haben könnte. Im Moment begeistert mich der hoher Stundenlohn, die beiden hellblau bedruckten Zettel vom renommierten Bankhaus L. und dieses unglaublich leichte Gefühl.
Unendlich scheint mir die Zeit, aber sie geht vorbei. Ein Druckverband soll eine Nachblutung verhindern. "Mindestens 2 Stunden." Ja klar, weiß ich doch. Ich werde ihn entfernen noch bevor ich ins Auto steige, er behindert mich. Ich fühle mich immer noch flau, irgendwie schlapp, das wird den ganzen Tag anhalten, und frei… ich fühle mich leicht und frei. 650 gr meines Körpers habe ich diesem Verein überlassen. In wenigen Tagen werde ich den Verlust ausgeglichen haben. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, ob die Ausnutzung meiner natürlichen Ressourcen irgendwelche Spätfolgen haben könnte. Im Moment begeistert mich der hoher Stundenlohn, die beiden hellblau bedruckten Zettel vom renommierten Bankhaus L. und dieses unglaublich leichte Gefühl.
SkyCaptainBlue - Mi 22. Jun. 2005 23:40
10 Kommentare - Kommentar verfassen - 1279 Hits - 0 Trackbacks